Ich unterrichte Schüler und nicht Fächer

„Auf die Lehrerin und auf den Lehrer kommt es an“, so wird die Essenz von John Hatties Metastudie Visible Learning häufig wiedergegeben. Dabei sind es nicht nur die fachlichen Kompetenzen, sondern vor allem die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrkräfte, die wesentlich zum Bildungserfolg junger Menschen beitragen.

Die Hauptaufgabe von Lehrerinnen und Lehrern besteht nicht darin, den Lehrplan zu schaffen, Wissen zu vermitteln oder dafür zu sorgen, dass die Schüler gute Noten schreiben. Das alles mögen Mittel zum Zweck sein. Doch ihre eigentliche Aufgabe ist es, Kinder zu befähigen, ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben in sozialer Gemeinschaft zu führen.

Woran erkennt man einen guten Lehrer?

Das sagen Lehrkräfte

„Fasst man nun alle Aussagen mit den meisten Stimmen zusammen, ist eine gute Lehrerin bzw. ein guter Lehrer stets vorbereitet und strukturiert und weiß in jeder Situation, ob er bzw. sie mit Strenge oder Humor reagieren sollte. Er bzw. sie hinterfragt sich jedoch auch regelmäßig und bittet die Schülerinnen und Schüler um Feedback. Außerdem kommuniziert eine gute Lehrkraft immer klar und deutlich, ist empathisch und wird von Schülerinnen und Schülern als Vertrauensperson wahrgenommen, an die sie sich auch mit privaten Problemen wenden können.“ (Aus einer Umfrage des Magazins sofatutor vom November 2017)

Das sagen Schüler

„Er muss mit den Schülern gemeinsam arbeiten und nicht gegen sie.“ „Er sollte hilfsbereit sein und den Schüler nicht vor der Klasse bloßstellen.“ „Er sollte den Unterricht nicht öde oder langweilig gestalten, sondern kreativ sein und uns Schüler nicht nur im Buch lesen lassen.“ „Ein Lehrer sollte nett und gut gelaunt unterrichten, aber nicht mürrisch und schlecht gelaunt.“ „Er sollte Gruppenarbeit machen und nicht immer Einzelarbeit.“ „Der Lehrer sollte gut zuhören können und nicht alles so ernst sehen. Schön wäre auch, wenn er ein wenig Spaß vertragen könnte und vielleicht ab und zu eine Exkursion mit seiner Klasse machen würde, die die Klasse auch interessiert.“ (Aus einer Schülerbefragung der Berliner Morgenpost vom 09.03.2009)

Das sagt die Jury des Deutschen Lehrerpreises

„Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für das Lehren und Lernen: Sie sind Experten in ihrem Fach und ihr Unterricht ist abwechslungsreich. Sie sind Erzieher im Unterricht und Schulleben: Sie verteilen Anerkennung und Kritik, sie übertragen den Schülerinnen und Schülern Verantwortung. Lehrkräfte nehmen ihre Aufgabe wahr zu beraten und zu beurteilen: Sie behandeln jeden Schüler fair. Sie entwickeln sich ständig weiter: Sie haben immer ein offenes Ohr für neue Ideen und lernen ständig Neues.“

Das sagt John Hattie

„Ein guter Lehrer setzt hohe Erwartungen. Er schafft ein fehlerfreundliches Klima in der Klasse, stellt auch sein Handeln immer wieder infrage, evaluiert seinen eigenen Unterricht fortlaufend und arbeitet mit anderen Lehrern zusammen.“ (John Hattie im Interview mit der ZEIT, 19/2013)

Lehrerinnen und Lehrer müssen gut sein können

„Das Lehrer-Gen hat man, oder man hat es nicht“, wird oft gesagt. Doch das ist Unsinn. Die Ausbildung und die Arbeitsbedingungen sind zwei wesentliche Punkte für den Erfolg von Lehrkräften. Hier lässt sich vieles gestalten und verbessern. Was tatsächlich zum Beruf dazugehört und was man „eben hat oder nicht“, das ist die Liebe zu Kindern. Wer Kinder und junge Menschen nicht als eigenständige Persönlichkeiten sieht, sondern als Objekte, die es richtig zu formen gilt, der hat mit dem Lehrerberuf wirklich eine falsche Wahl getroffen.

Die Lehramtsausbildung

Die deutsche Eigenheit, Schülerinnen und Schüler bereits im Alter von 10 Jahren nach Schularten zu sortieren, wirkt sich auch auf die Lehrerbildung aus. Anders als in nahezu allen anderen Ländern wird in Deutschland vornehmlich nach Schularten ausgebildet statt nach Schulstufen. Das verringert nicht nur einen flexiblen Lehrereinsatz. Es verstärkt auch die Vorstellung „sortierter“ Schüler und homogener Klassen, die dem binnendifferenzierten Unterrichten im Weg steht.

Mehr Pädagogik bitte

Desweiteren legt die deutsche Lehramtsausbildung einen großen Fokus auf die fachwissenschaftliche Kompetenz. Auch wenn sich die Studiengänge von Bundesland zu Bundesland sehr unterscheiden, ist ihnen allen gemein, dass der fachunabhängige erziehungswissenschaftliche Anteil des Studiums (also Pädagogik und Psychologie) den weitaus kleineren Teil des Studiums ausmacht (ca. 25 Prozent). Die Ausbildung der Lehrkräfte legt großen Wert auf das Expertentum im Fach (bzw. in den zwei Fächern, die Lehrkräfte in Deutschland studieren müssen), aber weniger Gewicht auf die pädagogischen Kompetenzen. Dabei spielen die im späteren Berufsleben die größte Rolle. International ist die in Deutschland zwingende Zwei-Fach-Ausbildung übrigens eher die Ausnahme – mit einem Fach bleibt im Studium mehr Zeit für die pädagogische Ausbildung.

Und nicht zuletzt findet ein guter Teil des Studiums selbst im „Frontalunterricht“ statt. Auch wenn die Bemühungen um mehr Praxisanteile in der Lehrerausbildung inzwischen groß sind: Nach wie vor fühlen sich viele Absolventen auf das selbständige Unterrichten nicht genügend vorbereitet. Auf viele praktische Situationen in der Schule kann es auch gar keine theoretische Vorbereitung geben. Das Lehramt ist ein „learning by doing“-Beruf, der von der Reflexion gemachter Erfahrungen lebt. Umso wichtiger ist dann ein Arbeitsumfeld, das diese Reflexion ermöglicht und befördert.

Gute Bildung braucht Zeit

Was sich Lehrkräfte am meisten wünschen, sind kleinere Klassen. Doch die Forschung zeigt: Die Größe der Klasse hat kaum Einfluss auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Weitaus wichtiger sind die Vielfalt der Methoden, die Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung und die Orientierung von Lernzielen und Rückmeldungen am einzelnen Schüler. Ein solcher individualisierter Unterricht kostet vor allem eines: Zeit. Zeit zum Vor- und Nachbereiten, Zeit zum Aufbau einer Lehrer-Schüler-Beziehung, Zeit zur Einschätzung des Leistungsniveaus, Zeit zur Reflexion des pädagogischen Handelns.

Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei? Von wegen.

Der Ruf der Lehrerinnen und Lehrer nach kleineren Klassen ist eigentlich ein Ruf nach mehr Zeit. In Sachsen unterrichten Lehrkräfte je nach Schulart zwischen 24 und 27 Stunden pro Woche (die Lehrbelastung ist damit im bundesweiten Vergleich leicht unterdurchschnittlich). Für Nicht-Lehrer mag das gar nicht so dramatisch klingen, erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass eine Schulstunde ja „nur“ 45 Minuten dauert. Doch wer so denkt, liegt arg daneben. Eine Schulstunde Arbeit heißt, 45 Minuten lang zu 100 Prozent präsent sein, vor 56 Augen keinen Fehler machen, alles im Blick behalten, fast durchgängig reden und parallel dazu nachdenken, um flexibel auf alles Geschehende reagieren zu können. In den dann folgenden zehn Minuten Pause muss man Aufsicht führen, etwas trinken, Arbeitsmaterialien holen, Zimmer wechseln, Schülerfragen auf dem Flur beantworten. Und weiter geht es. Die übrigen 13 bis 16 Stunden pro Woche gehören der Stundenvorbereitung, der Kontrolle von Tests und Klausuren, der Durchführung von Elternabenden und Elterngesprächen, der Dokumentation und Statistik, hinzu kommen Dienstberatungen, Fachlehrerkonferenzen, Exkursionen und Klassenfahrten sowie Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern.

Mehr Zeit bekommen – und sich verschaffen

Wer Lehrkräfte will, die binnendifferenziert unterrichten und ihren Schülern individuelle Rückmeldungen geben, die ihr pädagogisches Handeln reflektieren und sich regelmäßig fortbilden, die in Partnerschaft mit den Eltern und Schülern nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch eine persönlichkeitsbildende Rolle einnehmen; wer all das will, der muss die Unterrichtsverpflichtung für Lehrkräfte verringern. Das ist unser Ziel. Doch gerade in Zeiten des Lehrermangels ist dieses Ziel nur in kleinen Schritten und langfristig realisierbar. Deshalb liegt uns viel daran, bereits heute zusätzliches Personal an die Schulen zu holen, das die Lehrkräfte entlastet – als zweite Kraft im Unterricht, als helfende Person bei der Elternarbeit, als pädagogische Ansprechpartner für die Schüler und als Assistenz in organisatorischen Fragen. In den letzten Jahren sind so viele neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Sachsens Schulen gekommen: Sprach- und Integrationsmittler, Praxisberater, Inklusionsassistenten, Schulsozialarbeiter, Schulverwaltungsassistenen, Freiwillige im Pädagogischen Jahr und von Projekten wie „Teach first“ und viele Partner der außerschulischen Jugendbildung.

Wer mehr Zeit für seine Arbeit haben will, tut auch gut daran, sich nach „Zeitfressern“ umzusehen und zu prüfen, ob sich deren Macht verringern lässt. Viele Lehrkräfte, die sich reformpädagogischen Konzepten gegenüber geöffnet haben, machen die Erfahrung, dass sich ihr Stressempfinden deutlich verringert. Freiarbeit und Wochenplan geben Lehrkräften die Gelegenheit, sich einzelnen Schülern zu widmen. In einer Sachverständigenanhörung des Sächsischen Landtages formulierte das eine Lehrerin so: „Dadurch, dass man nicht die langen Phasen hat, vorn zu stehen und zu referieren, sondern die Kinder arbeiten und man zu zweit herumgeht, kann man dem Kind sofort Hinweise geben. Wenn die Seite fertig ist, mache ich mein Häkchen darunter und brauch keinen Wäschekorb voll Hefte mit nach Hause nehmen, um sie zu kontrollieren“ (LT-Drs 6/7699). Eine genauso wichtige Rolle spielt Teamarbeit. An manchen Schulen verstehen sich Lehrkräfte noch immer als Einzelkämpfer, an anderen werden Unterrichtsvorbereitungen und Arbeitsblätter vom Fachkollegium gemeinsam erarbeitet und dann auch gemeinsam genutzt. So lässt sich nicht nur Zeit sparen, die pädagogische Arbeit wird auch gemeinsam reflektiert und verbessert.